Die neue Frauenseilschaft

SonntagsZeitung, 10.10.2021

Wovon lange nur Männer profitierten, machen sich Frauen zu eigen. ­Gerade hat in Zürich ein exklusiver Club seine Gründung gefeiert.

Zusammen an die Spitze: Clubgründerin Markaki (in Rot, Mitte) und Ex-Ikea-Chefin Scarpaleggia (rechts, ebenfalls in Rot)

«Als ich dann auf der Bühne stand und den Preis entgegennehmen sollte, merkte der Moderator, dass das Geschenk, das er mir dazu überreichen wollte, für mich als Frau überhaupt nicht geeignet war: Es war eine Krawatte. Da sagte er, ich könne sie ja meinem Ehemannschenken.» Als Simona Scarpaleggia diese Anekdote aus jungen Jahren erzählt, lachen die Zu- hörerinnen von Herzen. Es könnte ihnen aber auch zum Weinen zumute sein. Sie alle wissen, wie sich solche Situationen anfühlen, zu oft haben sie diese selbst erlebt.

Aber jetzt ist ein Moment, um gemeinsam zu lachen. Schauplatz ist die Villa Chiode- ra, ein Jugendstilhaus im Zürcher Uni-Quartier. Vor zwei Wochen wurde dort der Frauenclub The Boardroom gegründet. Simona Scarpaleggia hielt eine Rede. Die Italienerin war zwischen 2010 und 2019 Chefin von Ikea Schweiz und engagiertesich dabei so stark für die Gleichberechtigung in Wirtschaftsfragen, dass sie in der Schweizzu dem Gesicht des Anliegens wurde.

Ursprünglich ein Studienprojekt

The Boardroom hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in Schweizer Verwal-tungsräten zu erhöhen. 74 Mitgliederaus der ganzen Schweiz zählt er; der Alters- schnitt liegt bei Mitte 40. Alle Mitglieder arbeiten nicht mehr als zwei Stufen unter der Geschäftsleitung bei mittleren und grossen Unternehmen. Viele von ihnen ha- ben einen ausländischen Hintergrund, wohnen und arbeiten aber seit Jahrzehnten in der Schweiz.

Im Club durften sich die Frauen nicht selbst anmelden.Stattdessen wurden sie durch bereitsangeworbene Mitglieder empfohlen. «Uns ist wichtig,dass alle Mit- glieder auch charakterlich zum Club passen, sich mit Herz für mehr Frauen in Top-positionen in der Wirtschaft einsetzen», erklärt Diana Markaki. Die 40-jährige Wirt- schaftsanwältin mit Wurzeln in Griechenland und Wohnsitz in Zug ist die Gründe- rin von The Boardroom.Sie hat das Konzept letztes Jahr als Abschlussarbeit ihres MBA-Studiengangs an der Harvard-Universität ersonnen.

«Für den beruflichenErfolg sind – neben der Sachkompetenz – Netzwerke sehr wichtig.»

Ines Hartmann, HSG-Forscherin

Einer von dessen Pfeiler sind Ausbildungsblöcke, in denen die Mitglieder sich das finanztechnische und juristische Rüstzeuganeignen, das es für die Arbeit in Verwaltungsräten braucht.Hinzu kommen zahlreiche Anlässe, an denen die Mitgliedernetzwerken sollen – sowohl untereinander als auch mit eingeladenen Gästen, zum BeispielKonzernchefs. Die Finanzierung für das Ganze stammt von den Mitgliedern, Firmensponsoren und der Gründerin Markaki.

«Fürden beruflichen Erfolg sind – neben der Sachkompetenz – Netzwerke sehr wichtig», sagt Ines Hartmann,die an der Universität St. Gallen zu Diversitätsfragen in der Wirtschaftforscht. «Das gilt sowohl für den Aufstieg innerhalb einer Firma als auch ausserhalb, also zum Beispiel bei der Nominierung für Verwaltungsratsposten.» Die Hoffnung des neuen Frauenclubs: Wenn ein Mitgliedbei der Besetzung einer Verwaltungsratsvakanz mitentscheiden kann, soll es auf die nun zu knüpfen- de Seilschaft zurückgreifen.

Das ist seit Jahrzehnten Teil der Existenzberechtigung von Organisationen wie den männerdominierten Lions oder Rotary Clubs, die auch in der SchweizTausenden eine nicht ganz günstigeFreizeitbeschäftigung sind. Doch auch Frauennetzwerke gibt es mehrere:Sie heissen KMU-Frauen, Advance, League of Leading Ladies, Busi- ness and Professional Women oder Board-Club. Sie verfolgen verschiedenste Philo- sophien, von losen Verbindungen bis zu engen Gemeinschaften mit regelmässigen Ausbildungsblöcken.

Einen klassischen Club mit Clubhaus gab es bisher allerdingsnoch nicht. Die Villa ist mindestens an zwei Abenden pro Woche für die Mitglieder geöffnet,die Bar im Salon bedient.«Wir wollen, dass sich die Mitglieder wie in ihrem Wohnzimmer füh- len, miteinander frei und im Vertrauen über die Herausforderungen sprechen, die sie als Frauenerleben», sagt Markaki.

Um die Stimmung aufzulockern, organisiert zudem eine Spirituosenfirma einmal im Monat eine Schulungzu einem spezifischen Getränk, sei es Rum, Whisky oder Gin. Angedachtist sogar eine Zigarrenschulung. Als ob die aufstrebenden Wirt- schaftsfrauen den alten weissenMännern, die ihre Vorherrschaft über Wirtschaft und Gesellschaft lange in sogenannten Old Boys Clubs zementierten, eine lange Nase drehen wollten. Jetzt, wo die Zeiten sich ändern sollen.

Allerdings lässt sich der Wandel Zeit. Der Frauenanteil in Verwaltungsräten hierzu-lande lag Anfang Jahr bei 14 Prozent.Das hat eine Analyse der knapp 8000 Aktien- gesellschaften mit über 50 Angestellten durch die Firma Get Diversityergeben. Bei den an SchweizerBörsen kotierten Firmen liegt der Frauenanteil im Verwaltungs- rat bei 19 Prozent. In den Geschäftsleitungen sind es 10 Prozent.

Das ist auch in den Augen der Politik zu wenig: Seit diesem Jahr läuft eine fünfjähri- ge Übergangsfrist, an deren Ende jede kotierteFirma 30 Prozent Frauenanteil im Verwaltungsrat erreichthaben soll. Für die Geschäftsleitungen gilt das Ziel von 20 Prozent, die Frist läuft 10 Jahre. Erreicht ein Unternehmen das Ziel nicht, muss es im Vergütungsbericht die Gründe dafür angeben und Massnahmenzur Verbesse- rung aufzeigen.

 

Das sind im internationalen Vergleich laxe Massnahmen zur Frauenförderung. Die Schweiz setzt also grösstenteils darauf, dass der Privatsektor es richten wird – überInitiativen wie den neuen Frauenclub.

Konrad Staehelin arbeitet seit 2020 als Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und schreibt über die Themen Arbeitsmarkt, Aviatik und Schienenverkehr.

@KStaeh

https://www.tagesanzeiger.ch/die-neue-frauenseilschaft-254287842617